Verschwörungs­theorien hat es wahrscheinlich schon immer gegeben. Aber was sind eigentlich Verschwörungstheorien? Wer plausible Argumente ignoriert oder überhört, kann schnell als Verschwörungstheoretiker bezeichnet werden.Durch die Entwicklung des Internets wurde die Verbreitung von Verschwörungstheorien begünstigt. Diplom-Psychologe ­Sebastian Bartoschek beschäftigt sich mit dem Thema Verschwörungstheorien und deren Ursprüngen. Wie verbreitet sind solche Ideen? wer glaubt an sie? In dem folgenden ­Interview sind wir mit Sebastian Bartoschek diesen Fragen auf den Grund gegangen.

S/U: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit dem Thema Verschwörungstheorien zu beschäftigen?

Sebastian Bartoschek: Das fing eigentlich in meiner Jugendzeit an. Meine Mutter kommt aus Polen. Das ist gar nicht so unwichtig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie ist ­gläubige Katholikin, hat sich aber immer dafür interessiert, was die Menschen in Polen beschäftigt – paranormale Phänomene, irgendwelche Toten, die sich in den Fliesen spiegeln. So hat es dann angefangen, dass sie sich für alles in Bezug auf Verschwörungstheorien interessiert hat. Beispielsweise die Theorie von Erich von Däniken, dass die Götter Außerirdische waren. Das Buch stand bei uns zu Hause immer rum. Dadurch habe ich angefangen, die Sachen zu lesen. Ich fand das total spannend, das war mein Einstieg. Irgendwann habe ich dann mit meinem Psychologiestudium angefangen und erfahren, dass es Leute gibt, die sich wissenschaftlich mit Parawissenschaften auseinandersetzen und dass es sogar gesellschaftliche Untersuchungen von Parawissenschaften wie die GWUP (*Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) gibt. Dadurch bin ich dann richtig in das Thema eingestiegen.

Wie kommt eine Kontaktaufnahme mit Ihnen zustande?

Im Prinzip gibt es immer mehrere Möglichkeiten, wie ich zu Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, Kontakt aufnehme. Einerseits durch soziale Netzwerke, in erster Linie Facebook, aber auch Twitter, andererseits bei Vorträgen. Dort habe ich eigentlich immer jemanden im Publikum, der spätestens nach dem Vortrag auf mich zukommt. Manchmal werde ich auch selber aktiv und gehe auf die Leute zu. Früher habe ich öfters die Initiative ergriffen, aber seit der Laden hier gut läuft, habe ich da leider weniger Zeit für.

Was machen Sie, wenn Verschwörungstheore­tiker bei einem Vortrag auf Sie zukommen? ­Diskutieren Sie dann nur mit ihnen oder versuchen Sie sie zu »heilen«?

Heilen ist der falsche Begriff, die Menschen sind schließlich nicht krank. Ein typischer Verschwörungstheoretiker sagt zum Beispiel nach einem Vortrag: »Das ist total gut, richtig und sinnvoll, was Sie hier machen. Das ist ja schlimm mit diesen antisemitischen Verschwörungstheorien. Das mit Auschwitz, schlimm, schlimm, schlimm ... Aber das mit 9/11, da weiß ich, das war anders!«

Die wenigstens wollen dann wirklich in eine richtige Diskussion gehen. Viele möchten einfach mal ihre Meinung loswerden und sagen: »Das, was Sie hier machen, ist alles scheiße!« Da kann ich dann eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Ich sehe das natürlich anders, sonst würde ich es schließlich nicht machen. Aber leider hat man keine Basis, auf der man diskutieren kann. Wenn Ihnen jemand sagen würde, dass Sie und Ihre Tätigkeit scheiße sind, was wollen Sie da noch argumentieren?

Was genau ist Ihr Ziel? Möchten Sie die Fälle für sich selbst einfach sammeln?

Das habe ich mich so noch nie gefragt. Was ist mein Ziel? Ich möchte über den ­Wirkmechanismus von Verschwörungs­theorien aufklären. Ich glaube, wenn ich das schaffe, dann reicht mir das.

Ist es nicht schwierig, die Menschen von Ihrer Ansicht zu überzeugen?

Sie können die Leute nicht überzeugen. Das ist genauso, wie wenn sie verliebt sind und sagen »Ich liebe meinen Partner« und jemand anders sagt Ihnen »Du kannst diese Person nicht lieben, sie geht dir fremd.« Dann haben Sie keine Grundlage, auf der Sie diskutieren können, weil der eine über Argumente und der andere über Gefühle redet. Genauso ist es bei den Verschwörungstheoretikern.

Auf welche Theorien sind Sie bisher gestoßen? An was glauben die Menschen am meisten?

Die populärste Theorie damals war, dass die USA aufgrund des Öls in den Irak einmarschiert sind. Das war so um 2010/2011 herum. Damals kam bei einer Stichprobe heraus, dass knapp 1.200 Befragte die Theorie kannten und 700 davon an diese glaubten.

Haben Sie eine Lieblingstheorie?

Sogar einige! Wobei wir zwischen meiner Lieblingstheorie und dem, was ich wirklich glaube, unterscheiden ­müssen. Eine meiner Lieblingstheorien ist, dass der Mond ein Hologramm ist. Das ist eine etwas ältere Verschwörungstheorie von David Icke. Er geht davon aus, dass die Erde flach ist und der Mond in Wirklichkeit nur ein Hologramm ist, das erzeugt wurde, um die ­Illusion einer runden Erde aufrechtzuerhalten. Und ­damit können Sie auch alle anderen Widersprüche, die mit der flachen Erde und dem Mond zu tun haben, ­erklären. Vielleicht nicht alle. Die Gezeiten bekommen Sie damit nicht erklärt, aber ansonsten können Sie viel mit dem Mond als Hologramm veranschaulichen. Deswegen mag ich diese Theorie.

Haben Sie das Gefühl, dass die Anzahl von ­Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, zugenommen hat? Lassen sich nicht gerade viele von n-tv und dem Internet beeinflussen?

Ich glaube, n-tv ist gar nicht so sehr das Problem. Das Problem liegt vielmehr bei den ganzen rechtsextremen Medien wie Sputnik, Russia Today (RT) oder Opposition 24. Ob es mehr geworden ist, kann man schlecht beurteilen. Es ist auf jeden Fall prominenter geworden. Die Sache ist, dass die sozialen Medien es erleichtern, Themen zu ­verbreiten. Das war früher definitiv anders. Es war schwerer Leute zu finden, die an das ­Gleiche glauben. Heute geben Sie einen Begriff bei Facebook ein und sind schnell in der entsprechenden Gruppe mit einer Vielzahl an Mitgliedern. Das macht vieles einfacher. ­Politisch ist es zudem anerkannter geworden. Das ist etwas, das sich verändert hat. Während Verschwörungstheorien eine lange Zeit in der Bundesrepublik im politischen Diskurs keine Rolle gespielt haben, hat sich das ­zumindest seit der sogenannten Flüchtlings­krise verändert. Plötzlich denkt man über Verschwörungstheorien nach und bekommt gar nicht mit, dass man sie damit immer weiter in ihrer Glaubwürdigkeit bestärkt. Wie beispielsweise die Aussage, dass Impfungen Autismus verursachen. Wenn das oft genug kommuniziert wird, dann bleibt es bei den Leuten besser im Gedächtnis. Genau so ist es mit den Verschwörungstheorien. Wie es sich im politischen Diskurs der letzten Jahre entwickelt hat, ist daher Mist.

Wie gehen die Politiker damit um? Ignorieren sie das Geschehen oder gehen sie tatsächlich darauf ein?

Zu Beginn haben die Politiker es permanent ignoriert. Dann kam diese typisch deutsche Reaktion: »Wir müssen darüber reden!« Besonders bei Pegida haben wir das massiv erlebt. Ein Teil der Politiker übernimmt die Narrative, damit die Rechten nicht so viel Zulauf haben. Eine typische CSU-Argumentation eben. Einige übernehmen auch, ohne es zu prüfen, Verschwörungstheorien, wenn diese gerade zu ihrer Ideologie passen.

Wie können wir uns einen typischen Verschwörungs­theoretiker vorstellen?

Zur Zeit meiner Studie war es so, was ich aber aktuell nicht bestätigen kann, dass vor allem junge Menschen anfällig für Verschwörungstheorien waren. Das war psychologisch immer ganz gut zu erklären, weil wir immer gesagt haben – Persönlichkeitsreifung ist mit 21 Jahren bereits abgeschlossen. Davor machen sie sich ein Bild von der Welt und sind dann auch noch offen für alternative Auslegungsmodelle. Deswegen glauben sie mehr an Verschwörungstheorien. Das passt aber überhaupt nicht zu den Befunden, die wir beispielsweise aus Deutschland im rechtsextremistischen Bereich haben, der ja aufblüht ohne Ende.

Können Sie beobachten, dass der ­Glaube an ­bestimmte Theorien familienintern ­weitergegeben wird?

Was in den Familien weitergegeben wird, ist eher ein Grundsatz an Überzeugung, wie die Welt funktioniert.

Haben Sie sich Ihr themenbezogenes Wissen selbst angeeignet?

In meiner Forschungszeit kannte ich kaum Theorien. Ich wurde sogar doof angeguckt, als ich so ein Thema für meine Promotion gewählt habe. Es interessierte niemanden, für sie war es irrelevant. »Das sind doch alles Freaks, und über die machst du deine Dissertation?!« Aber das hat sich in den letzten zehn Jahren drastisch geändert. Fortbildungen habe ich bisher noch nicht machen können. Vorletztes Jahr habe ich einen Kongress zum Austausch ausgerichtet und interdisziplinäre Forscher eingeladen.

Wie viele interdisziplinäre Forscher gibt es in Deutschland?

In Deutschland gibt es mittlerweile sehr viele Kongresse, aber wenig interdisziplinäre. Das ist sehr schade. In der Psychologie gibt es sieben Lehrstühle, die aktiv zu dem Thema forschen. Religionswissenschaftler tragen dazu viel bei, Theater- und Filmwissenschaftler ebenfalls. Ich bin Mitglied eines wissenschaftlichen Kuratoriums, in dem sich auch Archäologen befinden. Momentan passiert viel, aber ich habe keinen realistischen Überblick darüber, wie hoch die genauen Zahlen sind.

Gibt es vom Kontinent abhängige ­Verschwörungstheorien?

Sie sind weniger vom Kontinent abhängig, sondern mehr vom Kulturkreis. Kurz gesagt, alles, was antisemitisch ist, blüht in der ­arabischen Welt. Ein großes Thema in den arabischen Ländern sind die Juden, die angeblich an allem Schuld sind und ausgerottet werden ­sollten. Dann gibt es nationale Phänomene wie beispielsweise die Reichsflugscheiben bei uns. Diese Theorie besagt, dass die Nazis Ufos hatten und mit Aliens ­zusammengearbeitet haben. Sie existiert meist dort, wo starke Neonazigruppen ansässig sind. Im europä­ischen Süden findet man meist die klassischen kommunistischen Verschwörungstheorien.

Gibt es Theorien, die Sie total lächerlich finden?

Mir fehlt dafür langsam das Gefühl. Ein Beispiel ist die Aussage zum 2. Weltkrieg: Hitler tätigte damals die Aussage, dass der Zweite Weltkrieg durch den Überfall von Polen auf Deutschland ausgelöst wurde. Einige ­Menschen glauben, dass mit dem Angriff polnischer Verbände auf den Sender Freie Gleiwitz der 2. Weltkrieg angefangen hat. Das finde ich jedoch lächerlich. Ein zweites Beispiel ist die Mittelalter-Theorie. Einige Menschen sind der Meinung, dass das gesamte Mittel­alter nie existiert hat. Diese Theorie ist auf den ersten Blick gar nicht so unwahrscheinlich, da wir aus 500 Jahren Mittelalter höchstens drei Quellen haben. Diese haben wahrscheinlich sogar voneinander abgeschrieben. Die spannende Frage ist: Woher wissen wir eigentlich, dass diese Zeit existiert hat? Wenn wir keine Gegenstände aus der Zeit hätten, dann wäre die Theorie mit Sicherheit wahr. Genau das finde ich so spannend und unterhaltsam!

Sie haben eben gesagt, dass besonders Jugendliche leicht zu beeinflussen sind. Haben Sie eine Vermutung warum?

Was die Menschen anfällig macht, ist der Wunsch nach Selbstwirksamkeit. Es geht darum, Selbstkontrolle im ­Leben zu haben. Wir leben in einer Zeit, in der viele nicht wissen, welchen ­Informationen sie glauben sollen. Die Filter­funktion des Journalismus fällt in den sozialen Medien komplett weg. Verschwörungstheorien vereinfachen Sachen, sie geben ihnen, wie bei einer Parareligion, Handlungsstrategien mit, was sie tun müssen, damit alles gut wird. Dazu noch ein Beispiel: Viele Menschen haben häufig Kopfschmerzen, meist nicht ­organischen Ursprungs. Das ist gut, da organische Ursachen leider oft ­Hirntumore sind. Das heißt: meist haben wir aus ganz anderen Gründen Kopfschmerzen, oft hervorgerufen durch psychische Schräg­lagen und Stress. Die Leute glauben Chemtrails verursachen diese Schmerzen. Ihre Lösung dafür ist, sich eine Schüssel mit Essig auf den Balkon zu stellen und einen Orgon-­Booster für 20.000 € zu kaufen. So löst sich ihre psychische Spannung und die Kopfschmerzen werden gelindert. Daraus schlussfolgern sie: »Wenn ich was gegen die Chemtrails ­mache, sind die Kopfschmerzen weg. Also sind die Chemtrails echt.«

Verschwörungstheorien passen in vielen Fällen nicht mit einem christlich gefestigten Glauben zusammen, oder?

Es kommt darauf an, woran Sie glauben.

Haben Sie etwas, an das Sie glauben oder ­benötigen Sie handfeste Beweise, um etwas ­für wahr zu halten?

ch zahle Kirchensteuer und bin Mitglied der katholischen Kirche. Das hat eher pragmatische Gründe, was Kindergartenwahl und Beschäftigungsmöglichkeiten angeht. Ansonsten bin ich Agnostiker. Ich weiß es nicht, aber vielleicht gibt es ein metaphysisches Wesen. Ich glaube aber nicht an einen Gott. Aus folgendem Grund: Für einen Gott bräuchte ich Beweise. Wenn Beten wirklich etwas bringt, dann müsste ich das an etwas messen können. Aber das ist nicht möglich, also existiert für mich kein Gott. Dass es vielleicht irgendein Wesen gibt, schließe ich nicht aus.

Würden Sie es nicht für eine ­Verschwörungstheorie halten?

Religiosität nicht, Glauben im Kern schon. Angenommen jemand sagt, dass er an ein ­metaphysisches Wesen glaubt, welches sich der wissenschaftlichen Überprüfung entzieht. Dann ist es Glaube. Es ist nichts, das wir Verschwörungstheorie nennen können. ­Deswegen kann man darüber auch nicht diskutieren.

Kennen Sie viele in Ihrem Umfeld, die an ­Verschwörungstheorien glauben und sich damit beschäftigen?

Tatsächlich ja. Wenn man sich neun Jahre mit einem Thema beschäftigt, dann kennt man sich. Man trifft sich zum Beispiel auf Kongressen oder tauscht sich in sozialen Netzwerken aus.

Gibt es häufig Momente, in denen Sie jemandem gegenübersitzen und überrascht sind, dass derjenige an bestimmte Theorien glaubt?

Nicht mehr. Früher war es oft so, aber das ist genau, wie Sie es beschrieben haben. Man fragt sich, wie ein so gebildeter Mensch behaupten kann, dass nicht klar ist, wie viele Juden ermordet wurden. Irgendwann merkt man jedoch, wie falsch diese Annahmen ist. Der Gedanke, dass ein gebildeter Mensch kein Extremist sein kann. Genau das ist der Fehler, den wir immer wieder machen.

Haben Sie jemals mitbekommen, dass ein Mensch umgestimmt wurde?

Was heißt umgestimmt. Ein Beispiel wäre Horst Mahler, ehemaliger RAF-Verteidiger, der am Ende NPD-Funktionär war. Der ist vom linken Rand zu dem rechten Rand gewechselt.

Gibt es etwas, worauf wir noch nicht zusprechen gekommen sind und Ihnen wichtig ist?

Wir sollten aufpassen, dass wir bei Verschwörungstheo­rien nicht in diese pathologi­sierende ­Schiene gehen. Das ist etwas, was mir immer wieder im Freundes­kreis und im näherem Umfeld ­auffällt. Verschwörungstheo­retiker werden oft als krank, ­bekloppt und Fall für die Klapse bezeichnet. Das hat zwei gefährliche Seiten: zum einen vermittelt es das ­Gefühl sich gesellschaftlich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, weil es nur »Kranke« sind. Zum anderen ist es den wirklich Kranken gegenüber nicht fair und respektlos. Es leiden die, die über Jahre und ­Jahrzehnte an ihrer Schizophrenie und ihrer Wahnstörung ­leiden. Sie werden auf einmal mit ­politischen Extremisten über einen Kamm geschert. Natürlich gibt es auch ­politische Extremisten, die psychisch krank sind. Wenn es nur die wären, hätten wir keine Probleme. Das würden wir in den Griff bekommen. Das wirkliche Problem sind die geistig Gesunden.